Hermann L. Gremliza startete in seiner Kolumne im Januar-Heft von konkret eine Umfrage, auf die in den folgenden beiden Heften u.a. Dietmar Dath, Robert Kurz, Elmar Altvater und Jutta Ditfurth reagierten. Gremliza schrieb:

“Wir haben in den Abgrund geblickt.” Täglich, stündlich, vor zehn Minuten im Fernsehen bei “Anne Will” zuletzt repetiert es ein Banker, ein Unternehmer, ein Politiker oder einer ihrer journalistischen Kötelbrummer: Fürchtet euch! Keiner sagt: wovor? Wenn nicht heute noch geschieht, was die Deutsche Bank verlangt oder der Daimler, sei morgen schon alles zu spät. Keiner sagt: wofür? Was wäre denn, wenn ein paar Banken oder Konzerne pleite gingen? Führe der Bus nicht mehr? Gäb’s bei Lidl keine Jogginganzüge aus Ballonseide mehr? Fiele die Heizung aus? Müßten Millionen obdachloser Proleten in Armenküchen ernährt werden? Erlebte man die Anwälte und Zahnärzte beim Abweiden ihrer Golfplätze? Oder ist Weltuntergang und keiner geht hin?

Hier meine – zugegeben gleichermaßen zögerlich unter dem Eindruck sich überschlagender Ereignisse stehend formulierte – Antwort aus dem Januar, veröffentlicht im aktuellen März-Heft von konkret:

Irgendwie erinnert alles im Zusammenhang dieser Krise an Stanislav Lems Erzählung „Vom Nutzen des Drachen“: Auf dem Planeten „Abrasien“ im Sternbild des Walfischs lebt ein riesiger Drachen, der weniger dem herkömmlichen Bild vom Drachen ähnelt, vielmehr einer „Bergkkamm, der mit reichlich geleeartigem Brunnenwasser übergossen wurde“, und durch seine Ausscheidungen, Ausdünstungen und Bewegungen weite Teile der Anrainerstaaten in Mitleidenschaft zieht. „Von Zeit zu Zeit blähte er sich auf und überschwemmt die Grenzgebiete mit den Resten der verbrauchten Artikel, und bei Schlechtwetter stank er tausend Kilometer weit.“ Niemand weiß mehr, wie der Drache entstanden ist – einige vermuten, aus einer mutierten Schnecke -, aber die gesamte Wirtschaftsstruktur des Planeten ist auf die Mästung des Untiers ausgerichtet. Pro Tag verschlingt es 1800000 Tonnen Lebensmittel, die in Güterzügen und Pipelines angeliefert werden. Ein ganzer akademischer Apparat ist mit der Erforschung der Stoffwechselvorgänge befasst in der Hoffnung, dass sich durch eine noch  besser abgestimmte Diät die Geruchsbelästigung reduzieren und das Wohlverhalten des Drachens fördern ließe. Immerhin hängen 146000 Arbeitsplätze mittel- und unmittelbar an den drachenreleevanten Industrien.

Die naive Frage von Lems Forschungsreisenden Ijon Tichy, warum man das Getüm nicht einfach verhungern lasse und die Mittel zum direkten Nutzen der Bevölkerung einsetze, weist ein führender Drachenforscher als hoffnungslos rückständig und unpraktikabel zurück: „Stellen sie sich die Ausdünstungen vor, die von einem solchen Kadaver ausgingen. Zweitens würden die Banken zusammenkrachen – Zusammenbruch des monetarischen Systems. Es käme zu einer schrecklichen Katastrophe, Fremdling.“ Die moderne Strategie im Umgang ziele demnach auf „Domestifikation und Pazifikation“ ab: „In jüngster Zeit werden ihm riesige Mengen Süßigkeiten verabreicht. Süßigkeiten hat er sehr gern.“ Im Übrigen sei der Drache längst zur historischen Notwendigkeit geworden, zur Staatsräson: „Ein wichtiger Faktor, der unseren vereinten Anstrengungen einen festen Sinn gibt.“

Damit ist eigentlich alles gesagt. Wie der Drache, so sind auch die hypertrophen Banken und die ölfixierte Automobilindustrie angeblich „too big to fail“. Dass der magische Realismus der Banker mit Renditen jenseits von Teuerungsrate und Produktivitätszuwächsen notwendigerweise der Pyramidenspiel-Logik folgte, hätte jedem vernunftbegabten und halbwegs volkswirtschaftlich beschlagenen Beobachter klar sein können, ebenso wie die Tatsache, dass der motorisierte Personenindividualverkehr längst abgeschafft gehört. Beides mit Staatsknete am Leben zu erhalten, gilt als Staatsräson. Wenn jetzt tatsächlich eine neue Ära des Keynsianismus anbricht, wäre es eigentlich angezeigt, auch die Links-Keynsianerin Joan Robinson zu konsultieren, die anmahnt, Wirtschafts- und Konjunkturprogramme mit Überlegungen zu gesellschaftlich gewollter und sinnvoller Produktion zu verknüpfen. Aber da wird der Drache vor sein.

holm am 1. März 2009 10:47

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