Ein Debattenbeitrag von mir für Jungle World zur Marke Eigenbau in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise:
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Zurück zum menschlichen Maßstab!
Die Krise stellt die Organisationsform des multinationalen Konzerns in Frage. Zugleich entstehen kleinteiligere Nischenmärkte, die das Potential zu einer humaneren Wirtschaft haben.
VON HOLM FRIEBE
Das Heimtückische an dieser Krise ist, dass sie auch diejenigen betrifft, die es am wenigsten verdient haben. Die Geiselhaft, in die uns die Banker genommen haben, ohne dass wir es bemerkt hätten, war kein Bluff. Vielmehr eine Form des Pyramidenspiels, von dem einige lange Zeit gut gelebt haben, aus dem wenige rechtzeitig ausgestiegen sind und für dessen Kosten nun alle aufkommen. Die zurechnungsfähigeren unter den Ökonomen gehen von fünf bis sieben mageren Jahren aus. Und davon, dass die Weltwirtschaft, das gesamte wirtschaftliche Gefüge anschließend nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Klar ist, dass danach nicht mehr, wie in Großbritannien, über zehn Prozent der Bevölkerung im Finanzsektor arbeiten, oder, wie in Deutschland, aus einer hochgetunten Exportwirtschaft 25 Prozent Rendite gepresst werden können.
In welchem Ausmaß die Krise aber bei jedem einzelnen hinlangt, hängt stark von dessen Branche, Beruf und Background ab. Von daher scheint es kaltschnäuzig und verstiegen, die Marke Eigenbau als universelle Alternative anzukündigen, ganz zu schweigen vom Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion. Der Run auf die Abwrackprämie und die Krisenkonjunktur von Aldi, Lidl, Kik und Zeeman sprechen eine deutlich andere Sprache. Die Flucht in Schrebergarten und Heimwerker-Baumarkt verspricht keine Lösung, wenn das Haushaltseinkommen verschwindet, sondern allenfalls Linderung. Der Weg zurück in die karge Autarkie vorindustrieller Subsistenzwirtschaft ist verbaut. Und niemand – ein paar Landkommunen-Hippies ausgenommen – hat die Absicht, in Zukunft alles selbst zu machen. Wir wollen ja sogar die I-Phones und Swiffer-Staubmagneten aus der guten alten Massenproduktion.
Aber wir sollten auch unsentimental begreifen, dass durch die Krise beschleunigt ein paar der noch aus der Industrie-Ära herüberragenden Großstrukturen abgeräumt werden, die es vielleicht auch sonst nicht mehr lange gemacht hätten und um die es nicht einmal schade ist. Zur Disposition steht die Organisationsform des multinationalen Konzerns, wie wir ihn kennen und nicht unbedingt schätzen. »Unbundeling the Corporation«, die Entbündelung des Konzerns, nennt das der Unternehmensberater John Hagel III – durchaus noch im Geiste der kapitalistischen Effizienzsteigerung. Sein Kollege Don Tapscott geht so weit, im »Wikinomics«-Prinzip, der emergenten Selbstorganisation kleiner Einheiten, ein neues ökonomisches Paradigma zu erkennen. Dahinter scheint etwas auf, das der buddhistisch inspirierte Ökonom E.F. Schumacher schon in den frühen Siebzigern als »intermediäre Technologie« eingefordert hatte, sprich: als Rückkehr zu einer Wirtschaft im menschlichen Maßstab. Alle, die es unter der Maximalforderung Kommunismus machen, dürften sich darauf verständigen können, dass eine kleinteiliger strukturierte Marktwirtschaft mit weniger Kapitalismus und mehr Nähe und Transparenz zwischen Produzenten und Konsumenten eine Verbesserung gegenüber dem Status quo ante darstellt.
Selbst die vom Produkt losgelösten Marketing-Strategien der Großkonzerne, an denen sich Naomi Klein vor knapp zehn Jahren mit »No Logo« noch so verdienstvoll abarbeiten konnte, funktionieren in der Krise nicht mehr. In ihrem aktuellen Buch »The Brand Bubble« konstatieren die Markenexperten John Gerzemar und Ed Lebar – zusätzlich zur Immobilien- und Finanzblase – eine billionenschwere Markenwert-Blase, die dadurch zustande kommt, dass die Bewertungsansätze für Marken in den Börsenkursen nicht mehr durch Konsumentenloyalität gedeckt sind. Dagegen steht die Marke Eigenbau im perfekten Sturm noch vergleichsweise gut dar. Gemeint ist damit explizit nicht das Selbermachen für den Eigenbedarf, sondern die Summe der Nischenmärkte, in denen neue Formen einer solidarischen Ökonomie ausgetestet werden und handgemachte Produkte kleiner Produzenten wahren Distinktionsgewinn versprechen. »Vielleicht ist im Zeitalter des Hyper-Materialismus, von Paris Hilton und Tausend-Dollar-›It‹-Bags das Selbermachen von Dingen die ultimative Form der Rebellion,« schrieb Jean Railla, eine Galionsfigur der neuen Crafting-Bewegung in den USA, noch vor der Wirtschaftskrise und vielleicht etwas blauäugig. Aber Tatsache ist, dass – verstärkt durch das Internet und analog zur Gegenöffentlichkeit der Blogs und des Web 2.0 – eine Art robuster Gegenökonomie im Entstehen begriffen ist, die durchaus das Versprechen einer insgesamt humaneren Wirtschaft birgt. Natürliche Voraussetzung dafür sind allerdings neben dem Bewusstseinswandel auch frei disponible Einkommensspitzen, die in strategischen Konsum umgelenkt werden können. Da wiederum beißt uns die Krise in den Long Tail.
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Und die Replik (vollständigkeitshalber).
16. Mai 2009 - 23:05
Die Krise legt frei, was schon eine ganze Weile im Humus schlummerte: sie bestärkt die einen auf ihrem Weg ein kreativer Unternehmer zu werden und dabei gekonnt alle digital evozierten Möglichkeiten zur Ideenfindung und Selbstvermarktung auszuschöpfen. Und sie bringt manch anderen dazu, den Blick zu öffnen, auf ein Leben nach dem beruflichen Förderband. Mich hat kräftig inspiriert, zu einem kleinen Manifest für das Zeitalter der Ideen http://misscreativeclassy.wordpress.com/
21. Mai 2009 - 15:48
Unterschiedlicher hätten die beiden Beiträge nicht sein können – dabei ist es ja jedem noch freigestellt, einen Standpunkt zu vertreten und in einer Debatte zu präsentieren. Wenn man aber mit so offensichtlicher Ignoranz und Unwissenheit bestückt ist wie die Autorin der Replik, dann mag’s einem schon fast leid tun: schlechte Recherche und schlechter Journalismus sprechen Bände…
14. August 2009 - 16:39
Der Beitrag der Forderung zu mehr “kreativen Unternehmern” ist eine alte, abgedroschene Floskel und eine Pseudolösung für das Überleben in der Krise. Man kann einer Krise nicht mit Selbstdarstellung und kreativen Ideen entgegnen, das hört sich alles unheimlich schön an, ist aber weiblicher überhöhter Ästhetizismus und schlichtweg Träumerei.
In Krisen wie der derzeitigen zählen völlig andere Fähigkeiten, wie z.B. die Frage, ob man theoretisch dazu in der Lage wäre, sich selbst zu versorgen, um evtl. Inflationen gewappnet zu sein. Schöngeisterei wird bereinigt in Zeiten wie diesen.
Ich kenne Menschen, die jahrelang in unternehmerischen “Kommunen” kreative Tätigkeiten für nichts ausüben, das wäre dann der sogenannte Kreativunternehmer. Diese Klientel wird jedoch schnell herausfinden, worum es wirklich geht in Zeiten der Krise.